Em. OHS. Prof. Mag. Heinrich Gattermeyer
Komponist
Das Austrian Music Network schließt sich den vielen Gratulanten an, um Ihnen Herr Prof. Gattermeyer zum 80. Geburtstag alles Gute zu wünschen.
Mit diesem Portrait können wir nur einen kleinen Teil eines langen und schaffensreichen Lebens dokumentieren. Wir wollen dem Publikum speziell die kreativen Seiten eines Künstlerlebens zeigen, um Verständnis für den Schaffensprozess eines Komponisten zu finden.
AMN: Herr Prof. Gattermeyer, als Komponist wird man ja nicht geboren. Es gibt sicher ein Erlebnis oder einen Impuls, der das auslösende Element Ihres zukünftigen Lebensweges war. Können Sie sich an so ein Ereignis erinnern?
Prof. Gattermeyer:
Es hat sich ergeben, dass wir Geschwister in der 1. Klasse Volkschule jeder ein Instrument gelernt haben. Mein Vater war ein guter Geiger, und ich war für Klavier vorgesehen. Mein Unterricht war bei einer Klosterschwester, die noch die Methode mit dem Lineal praktizierte. Wenn man falsch spielte, wurde einem mit dem Lineal eine über die Finger drübergezogen. Das habe ich nicht vertragen und habe aufgehört.
Ein Jahr später bekam ich wieder Lust zum Klavierspielen. Ich habe mir aus dem Fundus meines Vater Stücke herausgesucht und begann aus eigenem die Noten zusammenzusuchen. Natürlich war ich noch schlecht im Lesen und machte viele Fehler. Aus diesen falsch gespielten Noten macht ich eine Tugend - ich begann zu variieren und zu improvisieren. Das machte mir soviel Spaß, dass ich vom Klavier nicht mehr wegzubringen war.
Einmal wurde ich der Pianistin Marianne Strasser vom Klaviertrio meines Vaters vorgestellt, und die sagte dann: "Um Gotteswillen, der gehört ja in eine Hand!" Ab diesen Zeitpunkt erhielt ich professionell Klavierunterricht.
Neues gestalten war aber nach wie vor für mich von größtem Interesse. Das Variieren und Improvisieren reizte mich. Auf Zuruf konnte ich über ein Lied oder mit 5-6 vorgegebenen Tönen improvisieren und tat dieses auf Wunsch sogar in jeder gewünschten Stilart. Das war mein erster Zugang und auch der Aufbruch zum Komponisten.
AMN: Haben Sie sich zu Ihren ersten Werken, die Sie schufen bekannt, oder gab es auch in Ihrem Schaffensablauf Zeiten, in denen Sie alles wieder verworfen haben?
Prof. Gattermeyer: Es wäre Unsinn, sich der ersten schöpferischen Gehversuche zu schämen. Leider wurde in den Jahren des 2. Weltkrieges mein Elternhaus zerbombt und alles, mitsamt dem Klavier vernichtet. Ich glaub, der Herrgott hat nicht gewollt, dass diese Anfangswerke veröffentlicht werden.
Möglicherweise gibt es noch bei manchen Damen, irgendwo in der Welt verstreut, das eine oder andere Liebeslied - daran erinnere ich mich heute nicht mehr so genau.
AMN: Die meisten Komponisten haben gewisse Perioden, in denen sie sich den einem oder anderen Stil bzw. einer bestimmten Kompositionstechnik verschrieben haben. Waren in Ihrem Lebenswerk durchgängige Methoden der Kompositionen vorhanden, oder war das Experimentieren eine ebenso wichtige Entwicklungsphase?
Prof. Gattermeyer: Selbstverständlich wird ein schöpferischer Mensch von allem, das ihm gefällt, irgendwie beeinflusst. Ich habe sehr intensiv musikwissenschaftlich gearbeitet, habe ich über Rundfunksendungen verfasst, und da ist es selbstverständlich, dass man sich mit der Materie auseinandersetzt. Daraus resultiert die Suche und die Analyse der technischen Zusammenhänge, die einem beim eigenen Schöpfungsprozess inspirieren und beeinflussen. Ich bin der Variationsmensch - es ist immer anders geworden als beim Vorbild, und ich glaube, das ist das Wichtigste. Jahrhunderte hat man nach einem Modell gearbeitet, und der Künstler wurde danach beurteilt, was er daraus gemacht hat. Wie die Veränderungen ausschauen und was es geworden ist, das ist das Interessante.
Bei meiner Lehrtätigkeit hat sich ergeben, dass ich alle Stilarten aus 8 Jahrhunderten vermittelt habe, damit musste ich mich auseinandersetzen.
Die Dodekaphonie (Zwölftontechnik) spielte genauso eine Rolle, nur auf eine andere Art - ich will kein Doppelgänger sein.
AMN: Als Professor für Komposition an der Musik Universität in Wien waren Sie der Lehrer vieler junger angehender (heute bereits arrivierter) Komponisten. Ist es schwer, den eigenen kreativen Prozess nachkommenden Komponisten weiterzugeben, oder ist die Individualität des Einzelnen entscheidend, wohin seine Entwicklung gehen wird?
Prof. Gattermeyer: 1971 erhielt ich eine Kompositionsklasse an der Hochschule für Musik. Damit verbunden waren der Tonsatz, ein elementares Studium von Harmonielehre, Kontrapunkt, Kompositionslehre, Instrumentation und alles was noch dazu gehört. Oft wurde ich von Studenten gefragt: "Kann ich bei Ihnen komponieren lernen?" - Ich habe das immer verneinen müssen. Das Bedürfnis, sich in irgendeinem Medium, ob Malerei, Schriftstellerei oder eben in der Musik sich mitzuteilen, ist ein schöpferischer Akt.
Ich kann nur die Technik aus 8 Jahrhunderten europäischer Musik vermitteln. Ihr Ausdrucksmittel müssen sie selbst aus einer Synthese oder aus etwas ganz Neuem finden. Mit dem Rüstzeug das vorhanden ist, muss man etwas aufbauen, - wir wollen keinesfalls nochmals das "Ein mal Eins" erfinden, wir können nur noch da oder dort etwas Neues dazusetzen.
AMN: Die Technik hat sich im Laufe der letzten paar Jahre sehr gewandelt. Wenn Sie in Ihren Anfängen noch mit Notenpapier und Bleistift Ihre Werke konzipierten, dann können heutige Komponisten direkt vom Keyboard Ihre Werke einspielen, und der Computer übernimmt die aufwendige Notenschreibarbeit. Sehen Sie darin Vorteile oder Nachteile für den Schöpfungsvorgang einer Komposition?
Prof. Gattermeyer: Der Fortschritt der Technik ist durchaus dankenswert zur Kenntnis zu nehmen, vom Auto bis zum Computer. Dieser hilft uns bei der mühsamen Kopierarbeit und ist eine segensreiche Erfindung.
Mit dem Computer zu komponieren, dem kann ich mich nicht anschließen. Ich sehe nicht mehr sehr gut und halte dieses Bild nicht aus. Ich kann mich nicht mehr dazu aufraffen, diese technischen Dinge zu erlernen.
Die technischen Möglichkeiten, die bei Computerkompositionen noch gegeben sind scheinen mir jedoch spärlicher zu sein als z.B. bei der Instrumentierung mit einem großen Orchester. Da gibt es noch immer Farben zu entdecken.
Das Notenschreiben geht mir sehr flott von der Hand, immerhin mache ich das bereits seit 65 Jahren. Komponieren mit dem Computer kann ich nicht.
Die Notenschreibarbeit meiner Kompositionen macht für mich ein lieber Kollege vom Tonkünstlerorchester, Herrn Leopold Schmetterer. Er kennt sich auf dem Computer hervorragend aus und erspart mir dadurch sehr viel Arbeit.
AMN: Zeitgenössische Musik wird verhältnismäßig viel gespielt. Das Echo beim Publikum ist aber nicht immer so stark, wie es sich die Schöpfer dieser Werke erhoffen. Woran liegt es? Ist das Publikum in seinem Musikverständnis spätestens in der Romantik stehen geblieben ist, oder ging die Übermittlung an die Jugend und dadurch auch die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten (man kann sagen im letzten Jahrhundert) damit nicht konform?
Prof. Gattermeyer: Das Problem "Zeitgenössische Musik" hat eine tiefe Wurzel. Zu Zeiten Bruckners hat man z.B. bei der Aufführung seiner 3. Symphonie vorher auch etwas anderes gespielt - das Publikum ging zum Teil hinaus und diejenigen, welche blieben und das neue Werk hörten, hatten eine neue Hörerfahrung. In den repräsentativen Konzerten - wird heute keine Zeitgenössische Musik gespielt, daher fehlt dem Publikum vielfach diese Hörerfahrung. Durch die Dokumentation von Schallplatte/ CD kann jeder bereits vorher selektieren, was er sich anhören will.
Ich hatte eine Sendereihe im Rundfunk über Zeitgenössische Musik mit dem Titel "Bitte nicht abschalten". Dieser Titel war insofern gut, da er die Menschen neugierig machte - warum sie nicht abschalten sollten. Leider wird "Zeitgenössischer Musik" nicht genügend angeboten, um dem Publikum zu neuen Hörerfahrung zu verhelfen.
Die Selektion erfolgt vorher. Man geht eben nicht zur "3. Bruckner von heute" und hat dadurch auch nicht mehr die Veränderungen der Musik der letzten 50 oder mehr Jahre wahrgenommen. Die Musik hat die Sprache ihrer Zeit übernommen und das zu verstehen, wurde vom Publikum vielfach versäumt.
AMN: Herr Prof. Gattermeyer, Musik ist wahrscheinlich eines der größten Kulturgüter der Menschheit. Ob es sich um ethnische, nationale, historische, klassische, romantische oder zeitgenössische Musik handelt, die Menschheit benötigt die Musik für ihre seelische Ausgewogenheit. Glauben Sie, hat die Kommerzialisierung in vielen Sparten der Musik sich nachteilig ausgewirkt, da man sie zu einem alltäglichen Konsumgut gemacht hat?
Prof. Gattermeyer: Musik spielt im Leben der Menschen eine ungeheure Rolle - es geht sogar soweit, dass viele Menschen heute musikkrank sind. Bestimmte Musikgattungen schädigen das Hörvermögen, weil die Lautstärke das Klangerlebnis ist. Es musste zu so einer Entwicklung kommen, da die dominierende Unterhaltungsmusik mit diesem Lautstärkepegel alles unter Kontrolle hat. Am Rande natürlich auch die sogenannte "Ernste Musik".
Die beiden Titel "E- und U- Musik" sind schlecht gewählt. Ich würde wünschen, dass man davon abgeht. Warum soll E- Musik nicht auch unterhaltend sein dürfen, wie umgekehrt U-Musik auch ernst zu nehmen sei. Einen statistischen Niederschlag findet in der Abkehr von der E-Musik insofern statt, dass immer mehr Musikstudenten (Komposition) in die U-Musik abwandern um damit ihr Geld zu verdienen. Wenn die guten Musiker dorthin abwandern, wäre das sicher ein Segen. Dann könnte die sogenannte U- Musik eventuell jenen Standart erreichen, den wir im vorigen Jahrhundert mit den Walzerkönigen hatten.
Die ernste Musik schließt sich in einem sehr engen sterilen Kreis zusammen. Vom ORF werden ebenso gewissen Sperren auferlegt - man bedenke, die einzigen zeitgenössischen Musiksendungen beginnen erst um 23.05 Uhr - 24.00 Uhr. Bei Konzertübertragungen hat zeitgenössische Musik nur dann eine Chance, wenn sie zugleich mit Schubert oder Mozart gespielt wird. Oft passiert, dass dieses Werk manchmal auch noch aus der Sendung herausgenommen wird.
"Wien Modern" ist gerade aktuell - auch das ist ein Club von Insidern. Hier gibt es bestimmte Maschen. Wer außerhalb dieser Masche lebt, wird nicht gefördert. Ohne Subventionen kann zeitgenössische Musik nicht existieren.
AMN: Welche Werke können Sie empfehlen, mit denen man den Einstieg in die zeitgenössische Musik dem noch nicht interessierten Publikum erleichtern könnte?
Prof. Gattermeyer: Der Einstieg in die moderne Musik ist ein vielfältiger. Auf dem Sektor der Unterhaltungsmusik ist sie leichter zugänglich. Hier gibt es diverse Gruppen, die durch eine bestimmten Massenhysterie genügend Kundschaft bekommen. In der "Ernsten Musik" ist das nicht so leicht, trotzdem gibt es genügend zeitgenössische Musik, die sehr gut ankommt. Es sind meist Komponisten, die mit einem Bein in der Unterhaltungsmusik verankert sind. Dafür gibt es mehrere historische Beispiele, bei denen es nicht anders war.
Ebenso gibt es eine Reihe Komponisten, die das Jugendprogramm gut angesprochen haben - die Jugend gewinnen heißt, das spätere Konzertpublikum heranziehen.
Ich habe z.B. für meine Schüler im Gymnasium eine Jugendoper "Asinus Rex", geschrieben, die in den 50 er Jahren auch vom Rundfunk angenommen wurde. Drei weitere Jugendmusicals zeigten ebenfalls in diese Richtung. Ich schrieb auch mehrere Werke für meine Kinder: "Für Christl" - "Für Lucie" - "Für Gabi" - "Für Bernhard" usw. Man sieht also, wer für die Jugend schreibt hat mehr Chancen anzukommen. Das kann auch auf höherem Niveau geschehen - Carl Orff hat in dieser Richtung auch mit einfachsten Mitteln sehr viel geleistet.
Bartók, Kodaly, Hindemith und noch einige mehr haben diese Jugendarbeit sehr gefördert und haben sich dadurch früh einen Namen gemacht und konnten auch mit anderen Werken das Publikum für sich gewinnen.
AMN: Wie sehen Sie die Gesamtentwicklung der Musik. Wird durch die Überkompensierung der wirtschaftlichen Interessen der Menschheit das künstlerische Element, die harmonische Ausgeglichenheit in ein eher aggressives Verhalten gewandelt, in dem nur noch die Quotenregelungen Platz haben?
Prof. Gattermeyer: Als Kompositionslehrer sah ich meine Aufgabe zu lehren und zu führen, keinesfalls zu prägen. Es sollten nicht lauter kleine Gattermeyer entstehen. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass eventuell hier oder dort eines meiner Stücke aufgeführt wird, aber nur um zu zeigen: das ist meine Ausdrucksweise.
Es war für mich immer ein Erlebnis, mit Gleichrangigen manchmal auch mit Besseren zu arbeiten - das ist das Geheimnis von: -"docens - diescens", "lehrend - lerne ich". Wenn ich etwas erklären will, dann muss ich zuerst selbst über diese Materie Bescheid wissen. Man muss einen Weg finden, um dieses Wissen auch weitergeben zu können. Hier muss man sehr ehrlich zu sich selbst sein. Wie z.B. Beat Furrer zur graphischen Notation überging, sah ich, bei diesem Weg kann ich ihm nicht helfen und schickte ihn zu Haubenstock-Ramati.
Es wäre ein Irrsinn zu glauben, dass wir unverwechselbar seien - es ist alles schon da gewesen, und wir sind alle nur eine Variation. Mehr zu sein würde ich mir selbst nie gestatten. Die Studenten sollen alles lernen, aber dann aus dem eigenen Temperament heraus eine Synthese mit neuem Einschlag finden. - Das sah ich als meine Aufgabe.
Die wirtschaftliche Lage der Komponisten war immer ein Problem. Es war vielleicht zu Mozart und Beethovens Zeiten sogar etwas besser. Der Komponist hat für eine Oper damals eine Goldschatulle bekommen. Schubert ausgenommen, der von sich sagte: "Ich bin zu nichts geboren als zu komponieren!" Für die Sicherung des täglichen Brotes hat er leider niemanden gefunden. Heute kann ein Komponist auch nur überleben, wenn er entweder eine Lehrstelle - eine Orchesterstelle - selbst Interpret / Dirigent - oder sonst einen mit Musik verbundenen Brotberuf hat. Die Versuche zeitgenössische Komponisten durch Quotenregelungen zu sichern, davon halte ich nichts, damit wird nur die Masse gesichert und keinesfalls die Qualität.
AMN: Herr Prof. Gattermeyer, gibt es einen besonderen Geburtstagswunsch, den wir veröffentlichen können?
Prof. Gattermeyer: Die Qualität eines Komponisten hängt in erster Linie von seiner menschlichen Qualität und seiner geistigen Kapazität ab. Mein Wunsch in diesem Leben wäre daher, geistig frisch zu bleiben, um das, was mich bewegt, noch zu Papier bringen zu können. Dazu gehört vor allem Gesundheit.
Das Weiterleben meiner Werke muss ich der Nachwelt überlassen. - Ich habe geschrieben, weil es mir ein Bedürfnis war. Musik ist die Sprache, die am raschesten des Menschen Herz anspricht.
Ich teile da den berühmten Satz mit Beethoven, den er als Widmung zu seiner "Missa solemnis" geschrieben hat: "Vom Herzen möge es zum Herzen gehen!" Das ist die große Aufgabe der Musik, der auch ich mich anschließen will.
AMN: Nochmals alles Gute zum Geburtstag, wir wünschen Ihnen noch viele Jahre in bester Gesundheit und danken für das Gespräch.