Herwig Reiter
Komponist und Dirigent
Das Austrian Music Network stellt im Aprilportrait den 1941 in Waidhofen/Thaya (Österreich) geborenen Herwig Reiter vor. Aus einer Musikerfamilie stammend, Vater (Albert) und Bruder (Hermann) sind bekannte Komponisten, erhielt er seine erste musikalische Ausbildung bei den Wiener Sängerknaben. Als Gymnasiallehrer verfasste er Lehrbücher ("Hören und Gestalten", "Musikstudio"). Von 1975 bis zu seiner Pensionierung 2002 unterrichtete er an der Wiener Musikuniversität und hatte eine Professur für Dirigieren inne. Sein ausführlicher Lebenslauf und eine Werkliste sind unter www.herwigreiter.com abrufbar.
AMN: In den nächsten Monaten gibt es für Sie einige wichtige Termine...
Herwig Reiter:
Am 24. April wird in der Wiener Augustinerkirche meine "Messe" uraufgeführt, in einer tollen Solistenbesetzung unter der Leitung von Alois Glaßner. Am 21. Mai folgt dann beim "klangfruehling" in Schlaining die Uraufführung von "Mandje, Mandje, Timpe te", des Märchens vom Fischer und seiner Frau für 2 Klaviere und Erzähler. Auch hier interpretieren bekannte Solisten, nämlich das Klavierduo Eduard und Johannes Kutrowatz. Und die 5 Tänze aus diesem Märchen kann man nochmals anlässlich der Verleihung des Würdigungspreises für Musik der Republik Österreich an mich am 1.Juni im Bundeskanzleramt hören.
AMN: Sie komponieren erst seit 10 Jahren. Was war der Auslöser für Sie, sich der Komposition zuzuwenden?
Herwig Reiter: Ich habe unter dem Einfluss meines Vaters schon als Kind sehr viel komponiert. Als ich mich aber dann Ende der 50er Jahre in der damals modernen "seriellen" Technik versuchte, haben mich meine Stücke wegen der Beliebigkeit des Klangergebnisses nicht mehr befriedigt und ich habe mich anderen Möglichkeiten, Musik zu machen, zugewendet: z.B. dem Klavierspiel, dem Dirigieren, der Stimmbildung und später auch der Beschäftigung mit der graphisch notierten Musik von Anestis Logothetis - was ja auch mit Komposition zu tun hat.
1994, im Urlaub auf der Insel Samos hat mich dann plötzlich die Lust gepackt, es wieder zu versuchen. Und schon bei meinem ersten Werk, einem Trio für Flöte, Cello und Klavier, traten eigenartigerweise die oktotonischen Leitern in Erscheinung, die ich schon in meiner Kindheit verwendet habe, ohne etwas von Messiaen zu wissen. Seither versuche ich, Musik zu schreiben, die aus den Tabus der "Moderne" ausbricht: Musik, die gut nachvollziehbar ist, die beim Spielen und beim Hören Freude macht und auch eine humorvolle Seite hat, Musik, deren Intelligenz sich nicht in vertrackten Strukturen erschöpft. Ich glaube an die Chance einer solchen Musik bei jenem musikliebenden Publikumssegment, das von ideologisch geprägter "Moderne" genug hat, sich aber auch nicht mit kommerzieller Musik zufrieden gibt.
AMN: Haben Sie musikalische Vorbilder, sind Sie in eine Richtung des zeitgenössischen Musikschaffens einzuordnen?
Herwig Reiter: Diese Fragen kann ich schwer beantworten. Für mich ist jedes meiner Werke ein neues Wesen mit ganz besonderen Eigenschaften, die nur dieses eine Stück hat und in die ich mich selbst oft erst einarbeiten muss. Die oben erwähnte "Messe" hat innerlich viel mit Gregorianik zu tun, wahrscheinlich ein Reflex auf meine langjährige Mitwirkung in der Choralschola der Wiener Hofburgkapelle. Trotzdem ist das klangliche Endergebnis meilenweit von Gregorianik entfernt.
Ähnlich ist es beim "Märchen vom Fischer und seiner Frau". Natürlich kenne und liebe ich die einschlägigen Kompositionen von Strawinsky und Prokofiev. Es war mir aber kein Anliegen, an diese anzuknüpfen, sondern ich wollte eine eigene Klangsprache entwickeln, die Naivität und Virtuosität verbindet und möglichst auch Kindern gefallen soll, und das führte mich in die Nähe von Latin und Slapstick.
Mit den aus der Schönbergschule kommenden Richtungen habe ich kaum Berührungspunkte. Dagegen haben manche Passagen in meinem Cellokonzert, das 2001 in Berlin uraufgeführt wurde, mit der Musik von Logothetis zu tun, und eine ganze Reihe meiner Turrini-Lieder sind vom Jazz inspiriert.
AMN: Sie kommen aus dem Gesangsbereich. Wiener Sängerknabe, Stimmbildung bei Ferdinand Grossmann, Musikpädagogik an der Musikuniversität usw. Hat das einen Einfluss auf Ihr kompositorische Tätigkeit?
Herwig Reiter: Ich glaube, ja. Ich verwende gern kleine Intervallschritte und Sprachrhythmen, die ja in ihrer unregelmäßigen Regelmäßigkeit viel interessanter sind als chaotische Taktwechsel oder mathematisch bestimmte rhythmische Konfigurationen.
AMN: Sie haben in ihrer Zeit als Hochschullehrer viele Ensembles gegründet. Sehen Sie sich vorwiegend als Dirigent oder als Komponist?
Herwig Reiter: Obwohl ich mein Wirken als Dirigent im Wesentlichen beendet habe, leben die von mir gegründeten Ensembles zum Teil noch weiter. Der "Kammerchor der Musikhochschule Wien" heißt jetzt Webern Chor der Musikuniversität und wird von meinem Nachfolger Alois Glaßner geleitet. Viele ehemalige Mitglieder des "Jungen Orchesters Wien" sehe ich auf dem Podium, wenn ich Orchesterkonzerte besuche. Sie spielen bei den Sinfonikern, den Tonkünstlern, im RSO-Orchester und bei Harnoncourt. Meine "Wiener Vokalisten," von denen manche atemberaubende Sängerkarrieren gemacht haben, und mein Ensemble "impulse" aktiviere ich jetzt nur mehr fallweise, nämlich dann, wenn es um Konzerte mit meinen eigenen Werken geht.
AMN: Was halten Sie vom derzeitigen Stand der musikalischen Ausbildung in Österreich? Sind Verbesserungen möglich oder wird durch die momentan vorherrschende Spargesinnung wertvolles künstlerisches Potenzial zum Scheitern verurteilt?
Herwig Reiter: Verbesserungen sind, glaube ich, nicht immer nur durch mehr Geld zu erreichen. Die Situation für Musikerziehung ist schwierig geworden durch den hohen Anteil an kommerzieller Musik, der die Kinder ausgesetzt sind. Sie ist aber auch besser geworden, durch die tüchtige Arbeit vieler Musikschulen, Musikhauptschulen und Musikgymnasien. Der Grundfehler scheint mir in Österreich daran zu liegen, dass man der musikalischen Bildung der Volkschullehrer schon seit Jahrzehnten einen viel zu geringen Stellenwert beimisst.
Ich glaube auch, dass man von Seiten der Musikuniversitäten in der Lehrerausbildung verkehrte Wege einschlägt, wenn diese immer mehr von theoretischen und pädagogischen Fächern überwuchert und das praktische Musizieren zu wenig vermittelt wird. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Schulen Kinder-Musicals oder Chorkonzerte mit neuer, interessanter Chormusik auf die Beine stellen, und dass man daher der stimmlichen Ausbildung und dem Blattsingen mehr Aufmerksamkeit schenkt, dass die Komponisten aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen und viele, viele Stücke schreiben, die qualitätsvoll sind, aber Kindern und Jugendlichen (trotzdem) Spaß machen.
Auf dem Sektor der Ausbildung zum Solisten oder auch zum Orchestermusiker scheint Österreich in manchen Disziplinen noch immer Weltspitze zu sein. Auch das hängt weniger von den finanziellen Mittel als von erstklassigen Lehrern ab.
AMN: Sehen Sie durch die modernen Medien eine Chance, die zeitgenössische Musik besser präsentieren zu können? Benützen Sie einen Computer zum Notenschreiben bzw. Komponieren oder dient er nur als rasches Kommunikationsmittel?
Herwig Reiter: Die modernen Medien würden zeitgenössische Musik dann besser präsentieren können, wenn die zeitgenössische Musik anders wäre. Solange sie, wie in Österreich, eine Domäne der sogenannten Avantgarde ist, nutzt es nicht, sie in erhöhtem Masse verbreiten zu wollen. Diese Musik ist für Massenmedien nicht geeignet, weil sie sich nicht an die Masse richtet.
Vom Computer mache ich eher sparsam Gebrauch und schreibe einstweilen noch mit der Hand. Kompositorisch interessieren mich Live-Elektronik und Beschallungstechnik mehr als computergestütztes Erfinden von Musik.
AMN: Wenn Sie einen künstlerisch-musikalischen Wunsch für die nähere oder weitere Zukunft haben, was hätten Sie gerne in dieser verwirklicht?
Herwig Reiter: Da hätte ich viele Wünsche, z.B.
- dass für privates Sponsoring in Österreich bessere gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen würden und so die Verdienstmöglichkeiten für junge Komponisten, Sänger und Musiker erträglich würden,
- dass man den akademischen Ausbildungsstätten mehr private, und daher vielleicht weniger "akademische" Konkurrenz entgegenstellt,
- dass nicht jene Veranstalter und Musikwissenschafter, die in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts steckengeblieben sind, bestimmen, was in der Musik heute innovativ ist
- und dass mir endlich jemand ein brauchbares Libretto schreibt.
AMN: Wir danken für das Gespräch und wünschen viel Erfolg für die kommenden Uraufführungen.