Dr. Thomas Daniel Schlee
Intendant des Carinthischen Sommers, Komponist
Dr. Thomas Daniel Schlee übernimmt 2004 die Intendanz des Carinthischen Sommers. Neue künstlerische Schwerpunkte werden im Mittelpunkt des Festivals stehen. Wir gratulieren Dr. Thomas Daniel Schlee zu dieser Funktion, er wird das Festival "Carinthischer Sommer" im Sinne seiner speziellen Struktur weiterführen.
http://www.carinthischersommer.at
AMN: Herr Dr. Schlee, Sie übernehmen mit der heurigen Saison die Intendanz des Carinthischen Sommers. Die Erwartungen sind sicher bei jedem der Partner groß. Was wird sich ändern - was wird gleich bleiben?
Dr. Schlee:
Den Carinthischen Sommer kenne ich schon aus langer, langer Erfahrung und mochte ihn schon immer sehr. Es ist ein eigenartiger und berührender Umstand, dass ich jetzt an die Spitze dieses Festivals gekommen bin. In den ersten Jahren des Carinthischen Sommers, der nun seit 35 Jahren existiert, nahm ich noch als Schüler an den Sommerkursen teil. Die Orgelkurse von Anton Heiller und die letzten Dirigierkurse von Hans Swarowsky waren legendär. Das Ossiach, wie es damals war, ist heute nicht wiederholbar. Hans Swarowsky und Anton Heiller leben nicht mehr, und die Zeit hat sich radikal geändert. Für uns junge Leute war Ossiach damals ein geistiges Zentrum und ein wunderbar inspirierender Ort.
In der Folge war ich hier als Organist und Komponist ein paar Mal zu Gast. Durch Gottfried von Einem, mit dem ich sehr gut bekannt war, und Gerda Fröhlich hatte ich über eine lange Zeit Verbindung zum Carinthischen Sommer.
Jetzt, da ich die Verantwortung für das Programm trage, ist für mich der Ansatz unabdingbar, aus der Tradition des Festivals neue Akzente zu setzen. Bei einem gewachsenen Festival, wie dem Carinthischen Sommer, darf man verändernde Eingriffe nicht mit brachialer Gewalt vornehmen. Dies würde die ganze Struktur zerstören, und man erreicht dann genau das Gegenteil von dem, was mein Auftrag ist. Der entscheidende Punkt ist für mich, auf die von Helmut Wobisch begründete Tradition, also die Kirchenoper zurückzuführen. Erstmals in der Geschichte des Festivals wird die Kirchenoper auch organisatorisch in das Zentrum des Festivalprogramms gestellt.
In meiner Jugend, erinnere ich mich, hat man außerhalb Kärntens vom Carinthischen Sommer hauptsächlich über die phänomenale Produktion des "Verlorenen Sohnes" von Benjamin Britten gesprochen. Es war eine Pioniertat, den herrlichen Kirchenraum des Stiftes Ossiach für eine szenische Darstellung zu erschließen. Ich habe, indem wir einen Schritt in Richtung Gegenwart weitergehen, die nächste Generation nach Benjamin Britten, Sir Peter Maxwell Davies, nach Ossiach geholt, der die heurige Kirchenoper "Das Martyrium des heiligen Magnus" geschrieben hat. Er wird überhaupt als "Composer in residence" eine bedeutende Rolle im Carinthischen Sommer 2004 spielen. Damit wäre ein zweiter Punkt einer neuen Programmakzentuierung genannt.
AMN: n den Sommermonaten ist Ihr Wirkungsgebiet ausschließlich in Kärnten. Ist das Team, das Ihnen zur Seite steht, ebenfalls für den Zeitraum Juli/August vor Ort?
Dr. Schlee: Man könnte es auch umgekehrt sagen: Bis auf mich und eine Mitarbeiterin sind alle Kärntner, die 3/4 des Jahres bereit sind, in Wien zu arbeiten und die dann im Sommer drei Monate in ihrer schönen Heimat sein dürfen. Es ist etwas aufwendig, mit dem Büro und allem übersiedeln zu müssen. Das kommt jedoch aus der besonderen Situation, dass alle Intendanten des Carinthischen Sommers auch in Wien wichtige Verwurzelungen gehabt haben. Der Gründer des Carinthischen Sommers, Helmut Wobisch, war Vorstand der Wiener Philharmoniker und Frau Dr. Fröhlich hatte in Wien viele Funktionen zu erfüllen. Ich selbst bin ebenfalls in Wien tätig. Hier trifft man viele Künstler, hier sind die Agenturen und hier wickeln sich sehr viele Dinge ab, auch wenn es anstrengend für alle Beteiligten ist, diese räumliche Zweiteilung zu meistern.
AMN: Welche Spielorte sind von den Künstlern als bevorzugt zu nennen? Ist in diesem Punkt auch eine Übereinstimmung mit dem Publikum erkennbar?
Dr. Schlee: Das Festival hat über die Jahrzehnte hinaus eine gewachsene geographische Struktur. Es ist von Ossiach ausgegangen und man muss sagen, dass das Stift und die Stiftskirche von Ossiach kunsthistorische und akustische Juwele sind. Die Kirche ist ein wunderbarer Aufführungsort - Bernstein hat ihn als den schönsten Konzertsaal der Welt bezeichnet; das mag vielleicht etwas freundschaftlich übertrieben sein, aber es ist wirklich ein besonders schöner, beliebter Ort.
Die großen Symphoniekonzerte finden im Großen Saal des Congress Centers Villach statt. Erstmals wird das Bergkirchlein von Tiffen bespielt - eine phantastische frühgotische Kirche, die früher zum Besitztum des Stiftes Ossiach gehörte. Mein Wunsch ist, in der näheren Umgebung von Ossiach und Villach noch andere attraktive Spielstätten hinzuzugewinnen. Eine interessante Novität wäre das berühmte Steinhaus des Architekten Günther Domenig, das zur Diskussion steht. Gegenüber vom Stift, direkt am Ossiachersee, würde es sich z.B. sehr gut für ein Schlagzeugkonzert eignen. Wir hoffen, mit neuen Spielstätten auch neues Publikum zu gewinnen.
AMN: Herr Dr. Schlee, Sie haben den Carinthischen Sommer sicher in seiner historischen Dimension ausgelotet. Gibt es aus dieser Sicht Jahre des Hochs und Jahre, die nur das Überleben gesichert haben?
Dr. Schlee: Zunächst muss ich nach fünf Jahren Tätigkeit beim Beethoven-Fest in Bonn, feststellen, dass das Kultursponsoring in Österreich nicht nur auf einem beklagenswerten, sondern zuweilen beschämenden Niveau steht. Das hängt sicher damit zusammen, dass unsere Gesetzessituation hinsichtlich der Steuerbegünstigung noch immer nicht dem Standard unserer Nachbarländer entspricht. Die traurige Wahrheit ist, dass ein Festival wie der Carinthische Sommer, trotz seines klingenden Namens, seit 35 Jahren zu kämpfen hat. Es war in den letzten Jahren aus finanziellen Gründen manchmal selbst bis zur Bedrohung seiner Existenz geraten.
Allein die Frage: Was passiert mit dem Stift Ossiach? Wir sind hier nur Mieter und müssen uns jedes Jahr neu einmieten. Wir hoffen, dass das in den nächsten Jahren einer endgültigen Klärung zugeführt werden kann. Eine sehr schöne Möglichkeit besteht in einem Projekt des Landes Kärnten: Das Stift Ossiach soll generalsaniert werden, um dort eine Kärntner Musikakademie zu installieren, die das ganze Jahr über tätig ist. Mit Musikveranstaltungen, Kursen und Seminaren wäre dann dieses besondere Juwel in adaptiertem Zustand natürlich auch für das Festival im Sommer zu nutzen. Wenn da ein Modus gefunden wird, dass einander Akademie und Festival sinnvoll ergänzen, wäre endlich eine Situation erreicht, wo der "Carinthische Sommer" mit relativer Sicherheit sagen kann, "es wird uns auch noch in drei Jahren geben."
AMN: Mit welcher Strategie wollen Sie vorgehen, um in der heutigen Zeit, wo immer und überall der Sparstift angesetzt wird, künstlerische Impulse zu setzen, die nachhaltig auch die Zeit überdauern können?
Dr. Schlee: Gott sei Dank hat im ersten Jahr meiner Intendanz der Sparstift noch nicht gegriffen. Das Land Kärnten und der Bund haben zum Neustart größere Zuwendungen gewährt; ohne diese wäre mein künstlerisch ziemlich anspruchsvolles und nicht nur auf Populäres setzendes Programm gar nicht umzusetzen gewesen. Ohne ein gewisses künstlerisches Wagnis kann ein Festival dieser Größe niemals eine Physiognomie erlangen. Mit der Vielzahl an Stars, die bei den Salzburger Festspielen auftreten, können wir nicht konkurrieren. Daher kann das Profil dieses Festivals nur über die Inhalte vermittelt werden, die neue Positionen beziehen müssen. Jedes Jahr sämtliche Mozartsymphonien aufführen zu wollen, das kann es nicht sein, so schön diese auch sind.
AMN: Sie sind selbst Komponist, haben Sie neben den Aufgaben als Intendant noch Zeit, eigene Werke zu schaffen, oder müssen Sie die kreative Phase Ihres künstlerischen Daseins auf die Wintermonate verlegen? - Woran arbeiten Sie gerade? Werden Ihre eigenen Werke beim Carinthischen Sommer erklingen?
Dr. Schlee: Bei ganz bedeutenden Künstlern wie bei Richard Strauss hätte sich niemand getraut, sich zu beklagen, dass er ununterbrochen eigene Werke zur Aufführung brachte. Auch als Staatsoperndirekter hat er in Wien seine Werke auf den Spielplan gesetzt. Nun ich bin aber nicht Richard Strauss und kann mir nicht vorstellen, mit mir selber in schwierige Verhandlungen einzutreten, um mich zu Gunsten eines Schlee-Festivals zu entscheiden. Da ich bei weitem nicht imstande bin, alles umzusetzen wie z.B. Werke von Kollegen aufzuführen, die ich sehr schätze und verehre, oder junge Leute zu fördern, kann ich keine eigene Werke auf das Programm bringen. Aber ich komponiere fast täglich. Im Moment arbeite ich an einem großen Stück für Erzähler, Sopran und Orchester, " Die Schöne Lau", nach einem Märchen von Eduard Mörike, das Ende September in Reutlingen von der dortigen Philharmonie uraufgeführt wird.
AMN: Können Sie sich vorstellen, dass dem österreichischen, zeitgenössischen Musikschaffen wieder ein höherer Stellenwert eingeräumt wird? Das ist natürlich eine kulturpolitische Fragestellung, aber vielleicht finden sich gewichtige Kulturpolitiker, die auch dem Export österreichischer, zeitgenössischer Kunst Rechnung tragen möchten.
Dr. Schlee: Beim Carinthischen Sommer hat die österreichische Musik immer ihren Platz gehabt; ich will mich zu dieser Frage daher allgemein äußern:
Das österreichische zeitgenössische Musikschaffen hat in den Jahrzehnten, in denen ich es miterlebe, eine ziemliche Wandlung vollzogen. Ich bin in einer Familie aufgewachsen und erzogen worden, die besonders der internationalen zeitgenössischen, avantgardistischen Musikszene verbunden war. Mein Vater war ja Musikverleger. Ich kann mich noch erinnern, dass es in Österreich eine Komponistenszene gab, die ganz gewiss sympathisch war, wo wirklich gute Komponisten in einer allerdings sehr kleinen, geschützten Welt arbeiteten. Vielleicht auch als Reaktion auf eine vorangegangene, sehr bewegte Zeit. Mit meiner Generation hat sich eine große Öffnung vollzogen und es gibt in der Generation nach mir sehr viele junge, gute Musiker.
Ich mache mir vielleicht Feinde bei den Kollegen, aber ich finde, dass es uns Komponisten gar nicht so schlecht geht. Wir stehen nicht ganz ohne Hilfe da. Die Gefahren, die existieren, sind eher globaler Natur.
Großen Kummer macht mir die Auflösung des Urheberrechtes, von der schaffende Musiker auf der ganzen Welt betroffen sind. Selbst die Komponisten begreifen oft nicht, dass das Urheberrecht zu stärken ist und nicht noch weiter aufgeweicht werden darf. Der ganze Betrieb der Ernsten Musik wird damit in Frage gestellt und im schlimmsten Fall führt uns das auf eine Conditio zurück, die der zu Mozarts Zeiten entspricht. Allerdings sind die wirklich kunstverständigen Mäzene in der heutigen Gesellschaft rar geworden. Die Zeiten, wo die Gesellschaft selbstverständlich zur Kunst gestanden ist und gesagt hat, Musik ist etwas Kostbares, das wir auch schützen müssen, die sind fast vorbei. Das macht mir große Sorgen.
AMN: Wie stehen Sie zu den "Neuen Medien", Sie sind im Internet präsent, nützen es. Gibt es dazu Anmerkungen, Verbesserungsvorschläge oder sonstige Kriterien?
Dr. Schlee: Zu den "Neuen Medien" habe ich sehr altmodische Ansichten. Für die Kommunikation ist es fabelhaft, und wir versuchen, uns mit unseren bescheidenen Mitteln so gut es geht darzustellen. Man kann sicherlich viel mehr machen - aber das ist natürlich auch eine Kosten- und Zeitfrage. Für die Kommunikation und das Marketing ist das phänomenal und wird auch im konkreten Verkauf immer bedeutender. Wo ich in meiner Begeisterung wesentlich eingeschränkter bin, ist die Rasanz des Austausches. Das sage ich als Privatmann, da ich den ganzen Tag am Gerät sitze, Mails lese und beantworte. Alles, was hereinkommt, muss möglichst sofort beantwortet werden, dadurch passieren Fehler. Weiters passieren auch Dinge, die nicht überlegt und gereift sind - die berühmte Nacht, die man darüber schlafen soll, die findet nicht mehr statt. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich ein Mail nicht innerhalb der nächsten 1/2 Stunde beantwortet habe. Schwerwiegender ist für mich als Komponisten - und da sind wir beim Punkt "technischer Fortschritt" -, dass junge Leute keine Reinschriften ihrer Werke mehr mit der Hand machen. Das bedauere ich sehr, denn das ist ein großer Bruch in der Menschheits- Kulturgeschichte, dass sozusagen der letzte Wille des Komponisten in Form seines Werkes nicht mehr handschriftlich dokumentiert wird. Es ist auch schade, keine schönen Handschriften mehr zu haben, die ein wunderbarer Ausdruck der Persönlichkeit sind.
Vor allem jedoch verleiten die Maschinen die Komponisten zu einfachen Lösungen - wir sind wieder bei den raschen Lösungen. Man findet bei vielen Werken Stellen, wo der Komponist gesagt hat: "Das lass ich jetzt die Maschine ausarbeiten!" - Wenn man bedenkt, wieviel Denkprozesse möglich sind, wenn man mit der Hand, also langsam, ausschreibt, dann wird man sehen, um wie viel stärker die Verlockung ist, Variationen einzubauen, um die Sache kostbarer zu gestalten. Die Maschine arbeitet geradlinig, aber ein Kunstwerk sollte mehrere Schichten haben. Das ist die Falle, in die manche jüngere Musiker tappen.
AMN: Haben Sie noch einen Wunsch, den Sie gerne im Carinthischen Sommer zusätzlich verwirklicht sehen wollen?
Dr. Schlee: Ich wünsche mir, dass mir hier in den nächsten zwei Jahren etwas gelingt, das mir bei meinen bisherigen Tätigkeiten Gott sei Dank gelungen ist: engen Kontakt zu meinem Publikum zu bekommen und eine wirkliche Basis des Vertrauens herzustellen, die es mir erlaubt, einen Teil der Schätze, die in der Musikgeschichte noch ungehoben sind, bekannt zu machen. Das möchte ich vermitteln! Meine Freude wäre groß, wenn das Publikum sagt: "Das kennen wir noch nicht - wir vertrauen dem Schlee - und hören es uns an."
AMN: Wir danken für das Gespräch und wünschen dem neuen Intendanten Dr. Schlee und dem Carinthischen Sommer viele schöne, erfolgreiche Konzerte.